Standards
In der interdisziplinären lokoregionalen Therapie bei
Ablatio
von Prof. Dr. R. Kolb, Chirurgische Abt., Evangelisches KH
Modifiziert radikale Mastektomie
Onkologischer Hintergrund
Die modifiziert radikale
Mastektomie hat sich gegenüber der klassisch radikalen
Mastektomie nach Rotter und Halsted insofern als ebenbürtig erwiesen,
als sowohl
die Frequenz an Lokalrezidiven als auch die überlebensrate gleich
ist. Zusätzlich ist die
Morbidität des Verfahrens deutlich geringer, was die Schulter-Armfunktion,
das Armödem
u. a. angeht. Das kosmetische Resultat ist ebenfalls besser, das Verfahren
ermöglicht
relativ einfach eine spätere oder auch eine Sofortrekonstruktion.
Die hier gemachten
Aussagen sind durch zahlreiche retrospektive, aber auch prospektiv randomisierte
Untersuchungen belegt. Weitere höchst aktuelle Fragen bedürfen
dagegen einer
hoffentlich raschen Klärung durch weitere Studien.
Der erste Punkt betrifft präoperative therapeutische Maßnahmen
wie die protoadjuvante
Chemotherapie. Kann dadurch die Brust weit häufiger als bisher
erhalten werden? Läßt
sich im Rahmen der modifiziert radikalen Mastektomie eine Milderung
der Radikalität
etwa im Erhalten der Mamille, dickerer Hautlappen und in der Technik
der axillaren
Lymphadenektomie erreichen? Die Frage nach einer Verbesserung der überlebensrate
erfordert ebenfalls eine definitive Antwort.
Ein zweiter, aber nicht weniger bedeutender Gesichtspunkt ist das Hinzufügen
einer
weiteren lokoregionalen therapeutischen Maßnahme,nämlich
der Bestrahlung zumindest
weiter fortgeschrittener Fälle,da höchst aktuelle Untersuchungen
bestrahlten Patientinnen
ein signifikant besseres überleben garantieren.
Allgemein onkologisch betrachtet stellt dieser in den letzten zwei Dezennien
wenig
beachtete Gesichtspunkt eine Revolutionierung unserer Anschauung dar,
da er
lokoregionalen Therapiemaßnahmen einen eindeutigen Einfluß
auf das überleben
ausweist.
Begriffsbestimmung und Zielsetzung
Unter modifiziert radikaler
Mastektomie wird eine komplette Entfernung der Brustdrüse
unter Mitnahme der Faszie des großen Brustmuskels u. eine en bloc
Lymphadenektomie
der Axilla im Abschnitt 1 lateral und 2 hinter dem kleinen Brustmuskel
verstanden.
Die beiden klassischen Techniken unterscheiden sich nur durch das Erhalten
des M.
pectoralis minor, insofern als Patey den Muskel entfernt, Auchincloss
und Madden
denselben erhalten. Das onkologische Ziel dieser Maßnahme ist die
Lokalrezidivrate
möglichst zu reduzieren.
Indikation
Es sind hauptsächlich
zwei Gründe, die eine Brustentfernung indiziert erscheinen lassen.
Erstens die Größe und die Ausdehnung der Primärgeschwulst
im Verhältnis zur Größe
der Brust und zweitens die Multizentrizität des Mammakarzinoms.
Aus den Erfahrungswerten vieler Zentren kann gesagt werden, daß
in 60 bis 70 0/0
bei einem unausgewählten Krankengut eine brusterhaltende Operation
möglich ist,
andererseits in 30 bis 40 0/0 eine Ablatio im Sinne des zur Sprache stehenden
Verfahrens
indiziert ist. An dieser Stelle sei aber betont: je weiter fortgeschritten
ein Mammakarzinom
erscheint, um so mehr bedarf es primär einer systemischen Behandlung,
etwa im Sinne
der protoadjuvanten Chemotherapie.
Praktische Vorgangsweise und technische Details
In einem ausführlichen
psychoonkologischen Gespräch sind der Patientin präoperativ
alle für sie in Frage kommenden therapeutischen Möglichkeiten,
insbesondere die
chirurgischen, zu erklären und die wesentlichen Punkte protokollarisch
festzuhalten.
Eine Einverständniserklärung der Patientin muß durch deren
Unterschrift nachvollziehbar
sein. Wird eine Sofortrekonstruktion gewünscht, ist das Verfahren
auszuwählen
(myokutaner Lappen, TRAM und dergleichen) und präoperativ im Sitzen
oder Stehen
die Inzisionslinien mit einer nicht wegwaschbaren Skizze festzuhalten.
Entsprechend
kippbarer Operationstisch, Wärmematte und Dauerkatheter sind zu überlegen.
Die Hautinzision sollte spitzovalär leicht schräggestellt
nach laterokranial erfolgen, die
Inzisionslinien sind anzuzeichnen und sollten 3 cm " im Gesunden"
sein. Stets sollten
dünne Hautlappen abpräpariert werden, wobei die subkutane
Fettschicht nicht dicker als
3 mm sein sollte. Es schadet nicht, wenn die Hautlappen nur aus Vollhaut
bestehen,
wenn keine Spannung vorliegt. Es ist darauf Bedacht zu nehmen, daß
die gesamte
Brustdrüse entfernt wird und keine Parenchymreste zurückbleiben.
Die axillare Lymphadenektomie sollte den ersten und zweiten Abschnitt
umfassen.
Erscheinen die Lymphknoten in diesem Bereich befallen, sollte auch der
Apexbereich
lymphadenektomiert werden, um nach Möglichkeit eine R0-Resektion
zu erreichen.
Die Adventitia der V. axillaris darf nicht verletzt werden. Die Nn.
thoracicus longus
und thoracodorsalis sind ebenso zu erhalten wie die Vasa subscapularia
und die
Nervengefäßversorgung der Pektoralmuskulatur, die relativ
variantenreich ist. Unserer
Erfahrung nach lohnt sich auch die Erhaltung der Nn. intercostobrachiales
2 und 3, da
Sensibilitätsstörungen an der Innenseite des Oberarmes und
im lateralen Operationsfeld
geringer zu sein scheinen. Abgeschlossen wird die Operation nach Einlegen
zweier
Redondrainagen mit einer fortlaufenden Intrakutannaht mit resorbierbarem
Material.
Während das mediale Drain nach 24-48 h entfernt wird, verbleibt
das laterale, die Axilla
drainierende, im Durchschnitt 6 Tage.
Axillare Lymphknotendissektion
Vom chirurgisch onkologischen
Standpunkt verfolgt die axillare Lymphadenektomie beim
Mammakarzinom zwei Ziele. Erstens ein therapeutisches zur Reduktion
der Tumorlast bei
einem karzinomatösen Befall der Lymphknoten und zweitens ein diagnostisches
Ziel,
das im exakten Ermitteln des histopathologischen Stadiums der Lymphknoten
besteht.
Im ersten Fall ist ein Vorteil lymphadenektomierter, lymphknotennegativer
Patientinnen
nicht vorstellbar. Bei einem Befall der Lymphknoten scheinen aber bestimmte
Subgruppen von Patientinnen von einer Lymphadenektomie auch des Apex
axillae zu
profitieren. Wird aber die Stadieneinteilung des Mammakarzinoms angesprochen,
die zur
Therapie der Erkrankung eine Notwendigkeit zu sein scheint, muß
man eingestehen,
daß wir heute geneigt sind, den überwiegenden Teil der am
Mammakarzinom Erkrankten,
auch lymphknotennegative Patientinnen, adjuvant zu behandeln. Nun muß
man auch vom
chirurgischen Standpunkt zugeben, daß der axillaren Lymphadenektomie
eine gewisse,
wenn auch nicht sehr große Morbidität nicht abzusprechen
ist.
Wenn die Frage gestellt wird, welche Patientin axillar lymphadenektomiert
werden soll
und welche nicht, ist der Ruf nach einer treffsicheren Diskriminante
berechtigt. Zur Lösung
dieses Problems werden mehrere Wege beschritten. Die faszinierendste
Art ist die Suche
nach biologischen Faktoren im Primärtumor, die eine lymphogene
Propagation
vorhersagen oder negieren können. Ein weiterer Ansatz ist der Nachweis
des
Tumorbefalls der Lymphknoten durch bildgebende Verfahren wie der Immunszintigraphie
oder der Positronenemissionstomographie. Eine weitere, wenn auch invasive
Technik
stellt das Konzept des "sentinel node" , des "Wächterlymphknotens",
dar.
Wenn auch auf allen Gebieten ermutigende Ergebnisse vorliegen, ist die
Diskriminante
mit hoher Treffsicherheit und breiter Anwendungsmöglichkeit bisher
noch nicht gefunden.
Daher erscheint die axillare Lymphadenektomie, über den therapeutischen
Wert für
manche Patientengruppen hinaus, für das "staging" der
Erkrankung und für die damit
verbundene adjuvante Behandlung unerläßlich. Ausnahmen lassen
sich heute nur aus
dem Blickwinkel der statistischen Wahrscheinlichkeit machen. So ist
es vorstellbar,
älteren Patientinnen mit kleinen gut differenzierten, rezeptorpositiven
Tumoren eine
Lymphadenektomie nach entsprechender Aufklärung über den Sachverhalt
zu ersparen,
da die Wahrscheinlichkeit einer axillaren Metastasierung wie auch der
therapeutische
Nutzen für die entsprechende Patientin sehr klein sind.
Perioperative
Standards
|