Nachsorge
beim Mammakarzinom
von Prof. Dr. R. Kolb, Chirurgische Abt., Evangelisches KH
Ziel der Nachsorge beim Mammakarzinom ist es, Lokalrezidive bzw. Metastasen
rechtzeitig zu erkennen, um durch rasches Einleiten einer Behandlung eine
Heilung
zu ermöglichen, das Leben der Patientin zu verlängern oder,
wenn dies nicht oder
nur kurzfristig zu erreichen wäre, die Lebensqualität zu verbessern.
Im Rahmen
der Nachsorge wird folgenden Punkten besondere Aufmerksamkeit gewidmet
:
1. Erkennung von Lokal- bzw.
von Lymphknotenrezidiven im Operationsgebiet bei zustand
nach
Ablatio mammae mit und ohne axillarer Lymphadenektomie (modifiziert radikale
Mastektomie,
Ablatio mammae simplex) und nach brusterhaltender Therapie.
2. Erkennung von Zweitkarzinomen nach brusterhaltender Therapie der auf
der operierten
Seite
und auf kontralateralen Brust (sukzedane Duplizität).
3. Diagnostik der Generalisation der Erkrankung in Knochen, Lunge , Leber,
Haut,
regionalen
Lymphknoten und an selteneren Lokalisationen.
4. Psychische Betreuung der Patientin unter Einbeziehung ihres Umfeldes.
Es gilt hier
eine
Fülle von Einzelheiten zu beachten, unter anderem auch die Beratung
über
eventuelle
kosmetische oder rekonstruktive Maßnahmen.
5. Erkennung und Behandlung von Folgezuständen der lokoregionalen
und
der
systemischen Therapie.
6. Erkennung von Zweitmalignomen anderer Organe (weibliches Genitaler
Kolon u.a.).
In Verfolgung des eingangs erwähnten Zieles sind bis heute intensive
Nachsorgeprogramme bezüglich der bildgebenden Verfahren wie auch
der laborchemischen Daten in vielen Ländern der westlichen Welt gang
und gäbe.
Das Konzept der intensiven Nachsorge beim Mammakarzinom wird aber durch
folgende
Punkte relativiert:
1. Die Früherkennung
von Metastasen ist nicht lebensverlängernd.
2. Bildgebende Verfahren ermöglichen erst relativ spät eine
Diagnose, die Tumore bzw.
Metastasen
haben zu diesem Zeitpunkt meist eine Größe von 1-2 cm im Durchmesser.
3. Eine Therapie asymptomatischer Herde erscheint heute sehr fraglich.
Theoretisch wäre
eine
Generalisation der Erkrankung in Form einzelner Tumorzellen oder kleiner
Zellverbände
therapier- ja vielleicht sogar heilbar. In diesem Sinne möchte ich
auf
die
Möglichkeit der immunhistochemischen Darstellung von einzelnen Tumorzellen
im
Knochenmark verweisen, doch liegt die Bedeutung derartiger Befunde für
die
Prognosestellung wie für die Therapie weitgehend im unklaren.
4. Die Aufdeckung asymptomatischer Herde, wie das Mitteilen von sogenannten
"unklaren
Befunden",
Phänomenen des Grenzbereiches r vom juristischen Standpunkt oft wichtig,
vom
ethischen diskussionswürdig , bedeuten für die Patientin fast
ausnahmslos einen
schweren
psychischen Schock, dem ein fragwürdiger therapeutischer Gewinn
gegenübersteht.
Im Gegensatz zu den genannten Punkten ist die Diagnostik von Lokalrezidiven,
Zweitkarzinomen in der operierten Brust und auf der Gegenseite wie auch
die Früherkennung von Zweitmalignomen in anderen Organen von ausschlaggebender
Bedeutung für den weiteren Verlauf der Erkrankung.
Nach Abschluß der Lokoregionalen , operativen wie strahlentherapeutischen
Behandlung
und der adjuvanten Chemotherapie hormonelle Behandlungen ziehen sich
ja über viele
Jahre hin erfolgt die Nachsorge gestaffelt über bestimmte Zeiträume.
Da die
Wahrscheinlichkeit eines Wiederauftretens der Erkrankung in den ersten
drei Jahren
nach der Operation am größten ist, wird die Nachsorge relativ
engmaschig alle 3 Monate,
ab dem 4. bis 5. oder 7. Jahr 2 x pro Jahr und dann nur mehr jährlich
durchgeführt.
Nachsorge im Hinblick auf die kontralaterale Brust
Patientinnen, die an
einem Mammakarzinom operiert wurden, entwickeln durchschnittlich
in 5 % ein Karzinom auf der anderen Seite. Sind weitere Risikofaktoren
vorhanden, steigt
die kumulative Inzidenz auf etwa 20 % in den ersten 5 Jahren an. Obwohl
die jährlich
durchgeführte Mammographie die Rate an Frühkarzinomen deutlich
ansteigen läßt,
hängt die Prognose Patientin hauptsächlich vom Stadium des
Erstkarzinoms ab.
Empfehlenswerte Maßnahmen: Monatliche Selbstkontrolle, vierteljährliche
sorgfältige
Untersuchung durch den Arzt, jährliche Mammographie.
Nachsorge nach brusterhaltender Therapie
Ergebnisse vorliegender
prospektiv randomisierter Studien zeigen, daß Lokalrezidive
oder ipsilaterale Zweitkarzinome die Prognose nicht zu verschlechtern
scheinen.
Der wert der Früherkennungsmaßnahnen bei zunächst brusterhaltend
operierten
Patientinnen im Falle eines Rezidivs und nachfolgender Mastektomie zeigt,
daß 5O %
dieser Fälle nach 10 Jahren rezidivfrei sind. In entsprechend gelagerten
Fällen läßt sich
aber auch ein Rezidiv neuerlich brusterhaltend operieren und zwingt
nicht grundsätzlich
zur Mastektomie. Neben den zur Früherkennung genannten Maßnahmen
ist
die Magnetresonanztomographie mit anschließender Feinnadel-Aspirationszytologie,
wenn nötig mit stereotaktischer Lokalisation okkulter Herde , von
hoher Sensitivität und
Spezifität.
Nachsorge nach Mastektomie
Lokalrezidive nach Mastektomie
treten in direkter Korrelation zur Zahl der befallenen
axillaren Lymphknoten auf. Im Falle negativer Lymphknoten treten sie
in 0.5-5 %r im Falle
positiver Lymphknoten bis zu 25 % auf. Die Prognose dieser Fälle
ist schlecht,
es überleben nur weniger als 5 % 10 Jahre. Auch wenn eine Heilung
dieser Patientinnen
nicht mehr wahrscheinlich ist, so ist eine Früherkennung des Lokalrezidivs
für die weitere
Behandlung wichtig. Prognostisch bedeutsam erscheinen die Zahl,die Größe
der Läsionen und das rezidivfreie Intervall. Die Auswertung adjuvante,
Therapiestudien in
der Schweiz zeigt, daß nur 50 % der Lokalrezidive von der Patientin
selbst erkannt werden.
Die Früherkennung von Lokalrezidiven scheint einen deutlichen Einfluß
auf die
Therapiemöglichkeit und damit auf die Lebensqualität der Patientinnen
zu haben.
Früherkennung von Fernmetastasen
Skelett:
Für die Früherkennung von Skelettmetastasen
bei klinischem Verdacht stellt
die Szintigraphie die treffsicherste Methode dar.
Die Röntgendiagnostik ist dabei
zweitrangig. Zur routinemäßigen Durchuntersuchung
asymptomatischer Fälle sollte
die Szintigraphie aufgrund mangelnder Spezifität
nicht herangezogen werden.
Thorax:
Pulmonale Metastasen (Rundherde, intrapulmonale Lymphangiose,
Lymphangiose
der Pleura mit und ohne malignem Erguß) stellen
die zweithäufigste Lokalisation dar.
Das Lungenröntgen routinemäßig sequentiell
in bestimmten Intervallen durchgeführt
stellt eine fragliche diagnostische Methode dar,
da aus der Erfahrung weniger als 10 %
der pulmonalen Veränderungen durch das Röntgenbild
erfaßt werden. In der Regel
sind derartige intrathorakale Veränderungen
durch die klinische Symptomatik und
damit auch durch die klinische Untersuchung (Anamnese,
Auskultation , Perkussion)
zu diagnostizieren. Die Röntgenuntersuchung
sollte nur bei klinischem Verdacht
ausgeführt werden. Als wesentlich hervorzuheben
bleibt aber, daß die Früherkennung
von Lungenmetastasen keinen therapeutischen Vorteil
bringt.
Leber:
Fernmetastasen sind nur in ca. 15 % primär
in der Leber lokalisiert. Auch beim
Vorliegen von Lebermetastasen scheint eine Therapie
der Frühveränderungen keinen
therapeutischen Vorteil für die Betroffene zu
bringen. Demnach sollten Untersuchungen
(Labor, Sonographie, CT) nur bei klinischem Verdacht
ausgeführt werden.
Blutchemie:
Alkalische Phosphatase, LDH, Transaminasen, Gamma-GT
und Tumormarker (CEA,
CA 15-3), um die wesentliche Parameter des Routinelabors
zu nennen, sind bei ca.
70% der Patientinnen mit Metastasen erhöht.
Eine möglichst frühzeitige Erfassung
derartiger Veränderungen nützt der Patientin
nichts, vielmehr scheint, wie eingangs
angedeutet, die psychische Situation der Patientinnen
durch das Mitteilen
pathologischer Befunde auf das Nachträglichste
beeinträchtigt zu werden.
Klinische Wertung
Die routinemäßige
Durchführung der genannten bildgebenden Verfahren und der
Laboruntersuchungen scheinen damit mehr als fragwürdig. Dagegen
sind im Falle
symptomatischer Patientinnen rasche und zielführende Untersuchungen
oft mit
Ausweitung der diagnostischen Möglichkeiten ( CT, Kernspintomographie)
wichtig,
um pathologische Frakturen , Querschnittslähmungen oder eine intrazerebrale
Tumorprogression rechtzeitig zu erfassen. Leider hat eine Therapie in
diesem Stadium
nur mehr einen palliativen Charakter. Die Suche nach einem Karzinom
der ipsi- oder
kontralateralen Brust ist nach vorliegenden Studienergebnissen von besonderer
Bedeutung.
Die Selbstuntersuchung durch die Patientin, die Untersuchung durch
den Arzt und
die Mammographie sind dabei die wesentlichsten Mittel der Diagnostik.
Die klinische
Untersuchung mit sorgfältiger Erhebung der Anamnese läßt
Rezidive in 60-96 %
erkennen.
Aus der Frühdiagnostik resultiert aber weder ein besseres Ansprechen
auf die Therapie
noch ein längeres überleben der sofort behandelten Patientinnen.
Die Prognose wird
nicht durch eine frühe Diagnose, sondern durch die Biologie der
Erkrankung bestimmt
:Fälle die einer Frühdiagnose zugänglich sind leben länger,
weil derartige Tumore sich
für den Patienten biologisch günstiger verhalten. Hier besteht
vielfach die Gefahr der
"übertherapie", da eine Beeinflussung der überlebenszeit
durch eine Therapie im
metastasierten Stadium bestenfalls nur für einige Monate erfolgt.
Praxis der Nachsorge
Unnötige Untersuchungen
sollten unterbleiben. zeit und Aufmerksamkeit sollte für klinisch
wichtige Untersuchungen verwendet werden. Routineuntersuchungen sind
mit einem
erheblichen personellen, zeitlichen und nicht zuletzt auch ökonomischen
Aufwand
verbunden. Eine sorgfältige klinische Untersuchung mit gezielter
Anamnese stellt
die Grundlage der Nachsorgeuntersuchungen dar.
Es bleibt zu erwähnen, daß 50 % aller Lokalrezidive von
der Patientin nicht erkannt
werden. Dazu kommt noch, daß 45 % der Patientinnen von sich aus
nicht zum Arzt
gehen, obwohl sie bereits über seit längerer zeit bestehende
Beschwerden klagen.
Versucht man aufgrund der seit einigen Jahren vorliegenden Faktoren
die Nachsorge neu
zu ordnen, so muß man von einem routinemäßigen Einsatz
bildgebender Verfahren und
laborchemischer Untersuchungen zu bestimmten zeitlichen Intervallen
eindeutig Abstand
nehmen.
Demgegenüber gewinnt das ärztliche Gespräch bzw. die
daran anschließende
Untersuchung größte Bedeutung. Hier sollte auf die Patientin
und ihren Partner
eingegangen werden. Die Patientin sollte zur Selbstuntersuchung der
Brust und
des Operationsgebietes angeleitet werden. Eine Beratung bezüglich
Kontrazeption bzw.
einer Hormonsubstitution bei Menopausenbeschwerden sowie bei Osteoporose
und
sexuellen Problemen ist von besonderer Wichtigkeit.
Möglichkeiten und Risiken einer Brustrekonstruktion sollten besprochen
werden.
Bedeutungsvoll mag auch ein Hinweis auf die bestehenden Selbsthilfegruppen
sein,
denn hier wird die Patientin wohl die besten Hinweise zur Lösung
alltäglicher Probleme
erhalten. Im Rahmen der Nachsorge ist nach Frühkarzinomen anderer
Organe (Ovarial-
und Zervixkarzinom, Kolonkarzinom) sorgfältig zu fahnden. Der Papanicolaou-Test
und
die Bestimmung von okkultem Blut im Stuhl sind bereits bewährte
Methoden.
Im Regelfall sollte die Nachsorge der Patientin durch den niedergelassenen
Arzt erfolgen.
Eine entsprechende Bezahlung der Leistung durch die Kassen ist anzustreben.
In unklaren Fällen bzw. im Falle eines Verdachtes auf ein Rezidiv
oder auf Metastasen
sollte ein onkologisch versierter Kollege oder ein entsprechendes Zentrum
kontaktiert
werden. Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß eine gute
interdisziplinäre
Zusammenarbeit der größte Gewinn für unsere Patientinnen
bedeutet.
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