Definition
Bei der akuten tiefen Bein-/Beckenvenenthrombose (TVT) handelt es sich um eine partielle oder vollständige Verlegung der tiefen Leit- und Muskelvenen durch Gerinnsel. Solche Gerinnsel neigen zum Wachstum und embolisieren in die Lungen. Eine wesentliche Thromboseauflösung erfolgt im akuten Stadium spontan oder unter Standardtherapie nur ausnahmsweise. Im weiteren Verlauf kommt es teilweise zu einer bindegewebigen Organisation, überwiegend aber zu Rekanalisation mit Zerstörung der Klappen. Die Entwicklung einer chronischen Veneninsuffizienz ist häufig. Diese gravierende Konsequenz und die Tatsache, daß eine restituierende Therapie nur selten möglich ist, begründen die Notwendigkeit der schnellen Diagnose und Behandlung.
Ursachen
Für die Entstehung der Phlebothrombose bzw. für eine tiefe Beinvenethrombose gibt es bestimmte Risikofaktoren. Diese Risikofaktoren sollten gesundheitsbewusste Menschen und jeder Arzt kennen, um entsprechende vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. Hat ein Mensch mehrere Risikofaktoren, erhöht sich das Thromboserisiko entsprechend.
Risikofaktoren
Das größte Risiko
ein postthrombotisches Syndrom zu erleiden, haben Patienten
mit Venenthrombosen. Im übrigen gelten für das postthrombotische
Syndrom letztlich
die selben Risikofaktoren wie für die Thrombose. Hervorzuheben sind
hier jedoch
übergewicht (Adipositas) sowie das Voliegen von Venenerkrankungen,
wie Venenentzündungen oder Krampfadern (Varizen).
Zu den allgemeinen Risikofaktoren gehören:
- fortgeschrittenes Alter,
- Übergewicht,
- übermäßiger Alkoholkonsum,
- Immobilisation z. B. durch Bettlägerigkeit oder Lähmungen, langes Sitzen etc.
- Krampfadern,
- Therapie mit Östrogenen bzw. die Einnahme hormoneller Verhütungsmittel, insbesondere bei Raucherinnen und Frauen über 30-,
- Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett.
Reisethrombosen kommen immer häufiger vor. In letzter Zeit wird auch immer häufiger von dem sogenannten „Economy class syndrome" gesprochen. Darunter versteht man eine tiefe Beinvenenthrombose , die nach langem Sitzen im Flugzeug entstanden ist. Häufig entstehen Thrombosen auch nach langem Sitzen im Auto oder Reisebus, sogenannte Reisethrombosen.
Das Übersehen einer vorhandenen TVT beinhaltet ein hohes Risiko vor Mortalität, kurzfristiger Morbidität (TVT-Progression (20 %), Lungenembolien (50 %)) und langfristiger Schädigung im Sinne eines postthrombotischen Syndromes (CVI 50 %). Die korrekte Diagnose einer TVT führt zu einer Behandlung, welche die unmittelbaren und kurzfristigen Risiken weitgehend reduziert.
Symptome
Der Krankheitsbeginn ist in der Regel akut und wird
von zeitweiser schmerzhafter Beinschwellung, Zyanose (Sauerstoffarmut), vermehrter Venenzeichnung, gekennzeichnet. Es ist häufig von Parästhesien
und Muskelschwäche
begleitet. Die meisten symptomatischen ambulanten Patienten haben keine Thrombose. Die einzelnen Symptome und klinischen Zeichen der TVT gelten zwar als einigermaßen sensitiv, sind jedoch ausgesprochen unspezifisch. Nach neueren Untersuchungen ist es möglich, klinische und Laborparameter zu benützen, um die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer TVT vor der Verordnung weiterer Untersuchungen abzuschätzen..
Diagnose
Die Phlebographie stellt noch immer den goldenen Standard der Diagnose der TVT dar. In geübten Händen und bei Anwendung standardisierter Techniken ist die Methode wenig belastend und liefert ein eindeutiges Dokument.
Die Duplexsonographie erlaubt bei symptomatischen Patienten den sicheren Nachweis oder Ausschluß einer Thrombose, welche die V. poplitea oder die proximalen Venen betrifft. Unter der Voraussetzung einer sorgfältigen Untersuchung durch einen geübten Diagnstiker ist auch der Nachweis einer vorhandenen Thrombose im Unterschenkelabschnitt möglich. Hingegen ist es nicht mit genügender Sicherheit möglich, eine Unterschenkelthrombose auszuschließen. Die Spezifität und Sensivität der Duplexuntersuchung gewinnt erheblich, wenn die Resultate der Untersuchung mit der klinischen Situation verglichen werden. Ein Algorithmus, welcher vom klinischen Verdacht zur definitiven Diagnose führt, ist in Abbildung 1 dargestellt. Diskordante Befunde sind selten und unter folgenden Bedingungen durch eine Phlebolographie zu klären: Die negative Duplexuntersuchung bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit und der positive Duplexbefund bei niedriger klinischer Wahrscheinlichkeit
Der CW-Dopplerultraschall eignet sich in der Hand des Erfahrenen als einfaches Suchverfahren für ein proximales venöses Abstromhindernis.
Die Impedanz- oder Dehnungsmessstreifen-Plethysmographie hat im Vergleich mit den oben beschriebenen Methoden eine zu geringe Sensitivität bezüglich Thrombosen im Unterschenkelabschnitt und ist insgesamt zu wenig spezifisch. Diese Methode eignet sich für eine Verlaufsbeobachtung, aber nicht zum Nachweis oder Ausschluss einer TVT. Andere Methoden der Plethymographie (Photoplethysmographie, Luftplethysmographie) sind zur TVT-Diagnostik nicht geeignet.
Dopplersonographische Untersuchungen
geben Aufschluß über die Flußphänomene
im Venensystem.
Die Lichtreflexionsrheographie
und Venenverschlußplethysmographie
geben globale Hinweise auf funktionelle Störungen
des Venensystems. Sie sind
vor allem für Verlaufsbeobachtungen geeignet.
Die Phlebodynamometrie
gibt die Druckverhältnisse im Venensystem in Ruhe
und unter Belastung wieder.
Sie ist wegen der Invasivität speziellen Fragestellungen
vorbehalten.
Duplexsonographische Untersuchungen
vor allem auch farbcodiert - eignen sich zur Darstellung
von Refluxphänomenen in
den tiefen Venen, sowie zur Beurteilung der Morphologie
der Venenwand und der
Venenklappen.
Phlebographie evt. kombiniert
mit der digitalen Subtraktionsphlebographie
erforderlich zur umfassenden Beurteilung der Morphologie
der Beckenvenen und
der V. cava. Eine phlebographische Darstellung der
Morphologie sollte zumindest
einmal nach abgelaufener Thrombose durchgeführt
werden.Der günstigste Zeitpunkt
hierfür ist ½ bis 1 Jahr nach abgelaufener
Thrombose, da in diesem Zeitraum
Rekanalisation und Kollateralisation ihr endgültiges
Ausmaß erreicht haben.
Phlebographische Kontrolluntersuchungen bei gleichbleibender
Klinik sind nicht
sinnvoll. Hier genügen funktionelle Untersuchungen.
Bei akutem Wandel der klinischen
Symptomatik mit Verdacht auf Re-Thrombose ist eine
erneute Phlebographie indiziert,
da hier die Aussagekraft, vor allem im Vergleich mit
früheren Röntgenbilder, deutlich
größer ist als bei nicht-invasiven Verfahren.
Weiterführende Untersuchungen: Bei dem breiten Spektrum der
Krankheitsbilder des
postthrombotischen Syndroms sind in Einzelfällen weitere Untersuchungen
erforderlich.
Ein Thrombophilie-Screening mit Bestimmung der Plasmaaktivitäten von AT III Potein S
und Protein C ist schon anläßlich der ersten
Thrombose indiziert bei allen jungen
Patienten mit offensichtlichen Risikofaktoren sowie
auch bei älteren Patienten mit
familiärer Belastung. Bei klinischem Verdacht
auf ein paraneoplastisches Syndrom ist
eine Tumordiagnostik anzuschließen.
In Einzelfällen sind Computertomographie und NMR-Untersuchungen erforderlich,
um das Ausmaß degenerativer Gewebsveränderungen
in tiefen Schichten vor der
Therapie zu beurteilen. Auch transkutane Sauerstoffdruckmessungen können zur
Beurteilung des Therapieerfolges herangezogen werden.
Indikation
Therapeutische Ziele sind:
1. Vermeidung einer Lungenembolie
(LE)
2. Verhindern eines postthrombotischen Syndroms (PTS).
Es bieten sich ähnlich wie beim Iliofemoralvenenverschluß drei
Verfahren an:
1. Konservative Therapie mit
Hochlagerung und Antikoagulaticngabe
2. Fibrinolyse
3. Venöse Thrombektomie
Nach den Ergebnissen vieler kontrollierter Studien und von Konsensuskonferenzen sind folgende Behandlungsmodalitäten zu empfehlen:
Die initiale Behandlung erfolgt mit Heparin oder niedermolekularem Heparin. Überlappend wird ein Vitamin-K-Antagonist zur oralen Antikoagulation eingesetzt.
Die Behandlung mit unfraktioniertem Heparin erfolgt durch die intravenöse Gabe eines Bolus von 80 IE/kg und der daran anschließenden Dauertropfinfusion mit 18 IE pro kg Körpergewicht und Stunde (13). Alternativ kann Heparin subkutan gegeben werden (z. B. 3 x 12.500 oder 2 x 25.000 IE). In beiden Fällen wird die Erhaltungsdosis aufgrund von Thrombinzeit- oder PTT-Bestimmungen modifiziert. Es ist wichtig, daß der therapeutische Bereich innerhalb der ersten 24 Stunden erreicht wird. Zum exakten Prozedere existiert eine eingehende Literatur. Die Heparinbehandlung dauert mindestens 5 Tage.
Die Behandlung mit niedermolekularem Heparin erfolgt subkutan und gewichtsadaptiert. Eine Laborkontrolle der antithrombotischen Wirksamkeit ist nicht notwendig.
Bei jeder Heparinbehandlung soll wegen der Gefahr der Heparin induzierten Thrombopenie vor und während der Gabe die Thrombozytenanzahl bestimmt werden.
Die orale Antikoagulation wird am Tag der Diagnosestellung oder dem nachfolgenden Tag begonnen. Eine hohe Sättigungsdosis wird heute nicht mehr gegeben. Die Kontrolle der Effektivität erfolgt durch die Prothrombinzeit, welche in INR-Einheiten angegeben wird. Der anzustrebene therapeutische INR-Bereich liegt zwischen 2,0 und 3,0. die Heparinbehandlung soll erst beendet werden, wenn der INR-Wert für zwei Tage im therapeutischen Bereich liegt.
Besteht eine Kontraindikation für die orale Antikoagulation (hämorrhagische Diathese, Blutung, floride Magendarmulzera, schwere Hypertonie, Schwangerschaft usw.) kann niedermolekulares Heparin in der jeweils für die Thromboseprophylaxe empfohlenen höheren Dosis in der Regel während drei Monaten verabreicht werden. Auch angepasste Dosen von subkutanem Standardheparin können bei speziellen Situationen zur Sekundärprophylaxe gegeben werden.
Kontraindikationen für ein operatives
Vorgehen sind:
1. Ein stark
reduzierter Allgmeinzustand des Patienten
2. Thrombosen durch Tumorkompression
3. Thrombosen durch intravenöse Dauerimplantate
(z.B. Port-Katheter,
Herzschrittmacher)
4. Alte Thrombosen (anamnestisch über 14
Tage).
Therapie
Die Kompressionstherapie ist die Basisbehandlung jeder chronisch-venösen Stauung.
Sie führt zur Reduktion des ödems, zum Anstieg der Strömungsgeschwindigkeit
und
Verbesserung der venösen Pumpfunktionen. Kompressionsverbände mit wenig
elastischen Kurzzugbinden weisen einen geringen Ruhedruck und einen hohen
Arbeitsdruck auf und sind besonders zur Entstauungsbehandlung geeignet.
In der Erhaltungsphase kann die Dauerkompression komfortabler mit
Kompressionsstrümpfen gewährleistet werden, die je nach
Schweregrad
der chronisch-venösen Stauung in der Kompressionsklasse II oder III
indiziert sind.
Wegen Materialermüdung und Verschleiß sind Neuverordnungen
der Strümpfe in
maximal halbjährlichem Abstand erforderlich.
Der Eingriff kann in Intubationsnarkose, aber auch in Lokalanästhesie
durchgeführt
werden. Die Thrombektomie erfolgt durch Eingehen mit
einem Venen-Fogarty-Katheter (Ballon-Katheterl. Das Beinwird zusätzlich
mit einer
Esmarchschen Binde ausgewickelt.
Phlebographisch oder auch phleboskopisch kann die Vollständigkeit
der Thrombektomie
überprüft werden. Das Anlegen einer proximal gelegenen temporären
a-v-Fistel ist
gelegentlich bei älteren Thrombosen sinnvoll. Nach Verschluß der Venotomie und der
Wunde erfolgt das Anlegen eines elastokompressiven Verbandes und die Hochlagerung
des Armes. Eine intraoperative Autotransfusion ist zu empfehlen.
Nachsorge
Patienten mit einer akuten TVT haben zumeist erhebliche Symptome, welche es zu behandeltn gilt. Die durch die Kongestion der Muskeln erzeugten Schmerzen beim Auftreten und Gehen und das epifasziale Oedem können durch Immobilisation und Hochlagern oder, alternativ, durch Kompressionsbehandlung und verordnetes, bewußtes Gehen gelindert werden. Bei bettlägrigen Patienten gibt es bisher keine wissenschaftlichen Erkenntnisse über Vor- und Nachteile einer weiteren Immobilisierung oder einer mobilisierenden Behandlung. Zur Kompressionsbehandlung eignen sich Kompressionsverbände oder -strümpfe. Welche Maßnahmen unter welchen Bedingungen vorzuziehen sind, wurde bisher nicht geprüft. Die in jedem Fall notwendige engmaschige Kontrolle des Patienten erlaubt es, die individuell geeigneste und einfachste Behandungsart zu wählen.
Eine adjuvante Pharmakotherapie ist selten notwendig. Schmerzmittel, welche mit der Blutgerinnung und den Thrombozyten nicht interferieren, können kurzfristig indiziert sein. Antirheumatika und dergleichen sollen nicht verwendet werden und auf keinen Fall intramuskulär injiziert werden. |