Die Behandlung des Ulcus cruris (Unterschenkelgeschwür)
Pathophysiologische Grundlage der Therapie:
Da das venöse Unterschenkelgeschwür (Ulcus cruris venosum) die schwerste Form der Beinvenenschwäche (CVI) darstellt, muß auch bei dem
Geschwür die Verminderung der Drucküberlastung im Venensystem das Ziel
der Behandlung sein. Wann immer möglich sollte die Ursache pathologischer Rückflüsse ausgeschaltet werden. Im folgenden werden
die sich z.T. ergänzenden therapeutischen Verfahren aufgezeigt, die zur Behandlung eingesetzt werden können.
- Phasengerechte feuchte Wundbehandlung:
Sie ist Grundlage der nicht-invasiven Therapie. Eine bekannte Methode mit Hydro-
polymeren, Hydrogel Verbandsmaterialien die Wunde zu reinigen und zur
Abheilung zu bringen.
- Vacuseal–Verband:
Die Sogbehandlung bekannt als Vacuumtherapie wird sowohl eigenständig, als
auch regelmäßig nach chirurgischen Debridement, Fasciektomie eingesetzt.
- Medizinische Kompressionstherapie:
Sie ist Grundlage der nicht-invasiven Therapie und kann alleine bzw. in Kombination
mit invasiven Strategien angewendet werden. Ihre Hauptwirkung entfaltet sie bei
Aktivierung der Muskel-Gelenk-Pumpen, weswegen die Patienten zu regelmäßigen
Gehübungen aufgefordert werden sollen. Die geforderten Eigenschaften beinhalten
einen hohen Arbeitsdruck sowie einen niedrigen Ruhedruck, weswegen vorwiegend
kurzzugelastische Materialien zur Anwendung kommen. Wechsel- und Dauerverbände
sowie zweizugelastische medizinische Kompressionsstrümpfe bzw. -strumpfhosen
können verwendet werden. Durch die Verwendung von Druckpolstern kann
die Effektivität der Kompressionswirkung verstärkt werden. Arterielle
Durchblutungsstörungen im Anwendungsbereich müssen im Rahmen
der Indikationsstellung als Kontraindikationen berücksichtigt werden
(nach Schweregrad relativ bzw. absolut), dies gilt insbesondere für ihre
Anwendung bei peripheren Neuropathien mit Verminderung der Sensibilität.
Operative Therapie:
Venenchirurgie:
Insuffiziente epifasziale Venen, die infolge Reflux zu einer überlastung der tiefen
Venen führen und deren Entfernung nachweislich zu einer lokalen oder allgemeinen
Verbesserung der venösen Funktion führt, sollen ausgeschaltet werden. Insuffiziente
Verbindungsstellen zwischen epifaszialem und subfaszialem Venensystem (Krossen,
venae perforantes) werden hierbei oder aber bei einem gesondertem Eingriff ligiert.
Soweit indiziert, möglich und vom Patienten mitgetragen, soll die operative Revision
von Refluxstrecken der rein konservativen Behandlung vorgezogen werden. Inzisionen
in diesem Bereich sind durch eine hohe Quote von Wundheilungsstörungen belastet.Es kommen in diesen Fällen indirekte Verfahren wie die nichtselektive subfasziale
Perforansdissektion oder die endoskopische Perforansdissektion in Frage.
- Faszienchirurgie:
Bei fortgeschrittener Dermatolipofasziosklerose (Stadium III) kann mit gleicher
Technik eine zusätzliche paratibiale Fasziotomie durchgeführt werden. Sie dient in
erster Linie der Verbesserung der Mikrozirkulation mit besserer Heilungstendenz von
Ulzerationen. In gewebearmen Bezirken können zus. Muskeltranspositions- plastiken
hilfreich sein.
- Ulkuschirurgie:
Das chirurgisches Debridement des Ulkus wird unter dem Punkt "Lokaltherapie"
abgehandelt. Im Anschluß kann eine plastische Deckung mit Meshgraft , Spalt- oder
Vollhaut durchgeführt werden. Vor einer plastischen Deckung sollten ursächliche
insuffiziente Venenabschnitte saniert und klinisch manifeste Infektionen behandelt
sein. Eine Maximalvariante des chirurgischen Debridement stellen die sequentielle
Ulkus-Exzision ggf. mit kruraler Faszienresektion bzw. die Shave-Therapie dar. Die so
entstehenden Defekte werden wiederum primär oder sekundär plastisch gedeckt.
- Sklerotherapie:
Zum Ausschalten epifaszialer Venen kann auch die Sklerotherapie durchgeführt
werden. Wegen der im Vergleich zur operativen Therapie erhöhten Rezidivrate bei
Varikose der Stammvenen sollte sie bevorzugt bei Seitenast- und retikulären Varizen
zur Anwendung kommen. Eine Sklerosierung von Varizen, die im Ulkusbereich liegen
bzw. auf dieses zuziehen (sog. "Nährvenen") kann in Erwägung gezogen werden.
- Lokalbehandlung:
Da die Wundheilung ein körpereigener Vorgang ist, der durch ärztliche Maßnahmen
nur insofern beschleunigbar ist, als daß innere oder exogene (s.u.) hemmende
Einflüsse beseitigt werden, ist es neben der Behandlung der die Ulzeration
auslösenden Erkrankung(en) alleinige Aufgabe der lokalen Wundtherapie, eine
ungestörte Wundheilung zu ermöglichen. Die Anforderungen an den optimierten
Wundverband sind somit:
- Reduktion von Schmerz und Juckreiz
- Aufnahme von Wundsekret, ohne die Wunde auszutrocknen
- inertes oder zumindest hypoallergenes bzw. nicht irritatives Material
- einfacher Verbandwechsel mit größtmöglicher Schonung der Wunde
- Vermeidung der Abgabe von Verbandbestandteilen an die Wunde
- keine Behinderung des Gasaustausches der Wunde (O2/CO2)
- Protektion gegenüber physikalischen (Kälte, Wärme, Druck & Zug,
Feuchtigkeit, Austrocknung, Strahlung), chemischen und mikrobiellen
(Bakterien, Pilze, Viren) Belastungen
- Adaptionsfähigkeit an die in der Wunde herrschenden Wundheilungsphasen
- Möglichkeit zur Selbstbehandlung durch den Patienten
- biologische / ökologische Verträglichkeit
- gutes Preis-Wirksamkeits-Verhältnis
Als solchgeartete Verbandsstoffe werden z. B. angeboten: wirkstofffreie Fettgazen,
Schaumstoffe (z. B. aus Polyurethan), Calciumalginatwatten bzw. -kompressen,
Hydrogele, Hydrokolloide, Hydroaktive Verbände und Kollagenschwamm-Verbände.
Ein genereller Vorteil einzelner Verbandsstoffe im Vergleich ist bislang nicht belegt.
Eine optimierte kausale Therapie und eine optimierte Wundauflage reichen in der
Regel aus, um die Wundheilung anzuregen und das Ulkus zum Abheilen zu bringen.
Die Applikation differenter externer Substanzen erbringt gegenüber einer
konsequenten Kausaltherapie und einer optimierten Lokaltherapie mit den oben
angegebenen Mitteln keinen Vorteil und beinhaltet die Gefahr der Hemmung der
Wundheilungsvorgänge. Zur Reinigung des Ulkus beim Verbandswechsel sollen
keine Antiseptika,sondern z. B. Ringerlösung verwendet werden.Falls erforderlich soll
die Ulkusumgebung zum Schutz vor Mazeration z. B. mit Zinkpaste abgedeckt werden.
Bei hartnäckig nicht heilenden Ulzera nach Ausschöpfung aller anderen therapeutischen
Möglichkeiten ist der zusätzliche Einsatz von Wachstumsfaktoren durch die direkte
Applikation von Einzelfaktoren und Faktor-Kombinationen bzw. indirekt durch
Transplantation von Keratinozytenkulturen z. Z. in klinischer Erprobung.
Behandlung exogen hemmender Einflüsse:
Nekrosen und fibrinöse Beläge:
Primär sollte ein chirurgisches oder mechanisches Debridement ggf. in Anästhesie
angestrebt werden. Alternativ kann das Andauen mittels Salicylvaseline bzw. die
Anwendung enzymatischer Reinigungsmittel zur Anwendung kommen.
Wund-Infektionen (z. B. Erysipel):
Eine externe Therapie mit Ruhigstellung und Kühlung der betroffenen Extremität
unter Heparinschutz für die Akutphase der Entzündung ist empfehlenswert; lokale
Antiseptika, die durch eine geringe Sensibilisierungsrate, ein breites Wirkungs-
spektrum und eine geringe Beeinträchtigung der Wundheilung charakterisiert sind,
sollen die oberflächliche Wundkontamination reduzieren ( z.B. Chiniofon, Jod-PVP,
Octenidin, Polihexanid), während systemische Antibiotika - gegebenfalls per Infusions-
behandlung - nach Resistogramm ausgetestet die gewebeständigen Erreger bekämpfen.
Nicht routinemäßig angewendet werden sollten lokale Antibiotika und Antiseptika aus
der Gruppe der Chinolinderivatfamilie und der Triphenylmethanfarbstoffgruppe wegen
der nichtausreichenden Wirksamkeit oder der Möglichkeit der Erzeugung resistenter
Mikroorganismen oder der Neigung, insbesondere bei Ulcus cruris-Patienten, Kontakt-
sensibilisierungenhervorzurufen oder ihrer z.T. ausgeprägten Wundheilungshemmung.
Lokale allergische Reaktionen:
Ulcus cruris venosum - Patienten sind zu einem hohen Prozentsatz (bis zu 80%) gegen
Bestandteile der zuvor lokal verwendeten Substanzen sensibilisiert, das kann auch
Kortikosteroide betreffen. Die Behandlung besteht in dem Erkennen und Eliminieren
des auslösenden Agens sowie dem befristeten Anwenden lokaler, in schweren Fällen
auch systemischer Kortikosteroide.
Physikalische Therapie:
ein intensives kontrolliertes Gehtraining
die krankengymnastische Mobilisierung der bzw. des Betroffenen unter besonderer
Beachtung der Sprunggelenksbeweglichkeit
die manuelle Lymphdrainage
die apparativ intermittierende Kompression
Systemische medikamentöse Therapie:
Acetylsalicylsäure, Calciumdobesilat, Cumarin, Diuretika, Fibrinolytika, Fibrinolyse-
Verstärker, Flavonoide, Pentoxyphyllin, Prostaglandin E1, Saponine, Tribenosid. Es muß
betont werden, daß diese systemische adjuvante Therapien kein Ersatz für die kausale
Therapie sein können. Die möglichen Nebenwirkungen und die damit verbundenen
Kontraindikationenschränken den Einsatz der Medikamente ein.
Nachfolge-Behandlung:
Infolge der ausgesprochen hohen Rezidivquote ist eine konsequente Weiterbetreuung des
Patienten wünschenswert,um auf sich anbahnende Dekompensationen und eintretende
Komplikationen schnellstmöglich eingehen zu können. Eine konsequente
Kompressionsbehandlung der betroffenen Extremität(en) mittels Kompressions- verbänden
oder Kompressionsstrümpfen der Kompressionsklasse II-III ist zweckmäßig.
Prophylaxe
Verwendung gerinnungshemmender Medikamente (Heparin s.c.)
orale Antikoagulanzien (Marcumar)
Anwendung von Stützstrümpfen vor Operationen oder nach Entbindungen
allgemein Vermeidung von Risikofaktoren
ausreichende Flüssigkeitszunahme
bei längeren Flügen oder Autofahrten möglichst einmal in der Stunde aufstehen
und umher gehen.
Zur Verbesserung der venösen Hämodynamik können kommen nur in besonders
gelagerten Fällen und mit strenger Selektion folgende rekonstruktive
Operationsmethoden zur Anwendung:
freie Gefäßtransplantationen im Bereich der Beckenvenen
Umleitungsoperation nach Palma (ggf. in Modifikation)
Transposition von klappentragenden Segmenten (Kistner)
freie Transplantation von klappentragenden Venensegmenten.
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